Überblick

Wie geht es, das gute Leben für Alle? Die Antworten auf diese Frage sind so vielfältig, wie die Antworten auf die Frage, wie man das gute Leben überhaupt definieren soll. Richtet man sich nach dem Verständnis der Andenländer Südamerikas, geht es vor allen Dingen um Ausgleich, um Gerechtigkeit, Gleichwertigkeit und Freiheit. Sie übersetzen das andinische „sumak kawsay“ mit dem spanischen „buen vivir“, was wir mit dem Gutes Leben wird häufig mit einem Leben in Frieden und Freiheit gleichgesetzt. Gut lebt man, wen man alles zum täglichen Leben hat. Und schließlich ist ein gutes Leben für Menschen dauerhaft nur dann möglich, wenn die Erde geschützt wird. Leider sieht die Realität vielerorts ganz anders aus. Um weltweite Probleme wie soziale Ungleichheit und die Zerstörung des Planeten zu lösen, ist ein globaler Wandel nötig, für den politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Akteure neue Konzepte entwickeln müssen. Wie unterschiedlich diese Konzepte sein können, die im Kleinen einen Wandel bewirken können, sieht man beim Allmende Lastenrad Projekt aus Gießen und dem Fairhandelsunternehmen El Puente, die auf dem Rollup der Ausstellung Hessen fairändert vorgestellt werden. 

Worum geht es beim Thema „Gutes Leben für alle“?

Überblick

Sumak Kawsay / Buen vivir - Die Vorstellung vom Guten Leben

Mitmachen und informieren

Die Notwendigkeit einer gesellschaftlichen Transformation

Sumak Kawsay / Buen vivir - Die Vorstellung vom Guten Leben

„Leben in Fülle“ lautet eine Übersetzung des Begriffes „sumak kawsay“.  In den Ländern Südamerikas wird es auch häufig mit „buen vivir“ übersetzt. Es handelt sich um ein Lebenskonzept indigener Bevölkerungen, die zum Beispiel in Ecuador, Brasilien oder Peru leben. Das Leben in Fülle, das Gute Leben, geht davon aus, dass alle Lebewesen der Erde miteinander verbunden sind: Pflanzen, Tiere und Menschen. Die Erde selbst ist hier lebendig. Produzieren sollte man nur soviel, wie man zum Leben benötigt, der Überfluss soll verhindert werden. Diese Lebensweise teilt die westlichen Vorstellungen von Fortschritt und Entwicklung nicht. Damit alle Menschen weltweit ein Leben in Fülle, ein gutes Leben führen könnten, benötigte es einen sorgsamen Umgang mit der Natur. „Wir, die Völker des Planeten, müssen gut leben und für unser Land sorgen, damit zukünftige Generationen es weiterhin nutzen können“, sagte Davi Kopenawa, Sprecher der Yanomami. Die Yanomami leben im peruanisch-brasilianischen Grenzgebiet und sind die größte indigene Gruppe im Amazonasgebiet. Das Konzept des Guten Lebens verlangt für seine Umsetzung auch einen Ausgleich unter den Menschen. Wenn alle Menschen nach sumak kawsay leben können sollen, ist eine Umverteilung von denjenigen, die im Überfluss leben, zu denjenigen, die Mangel leiden, nötig. 

Das Konzept des Sumak kawsay oder Buen vivir wurde in Ecuador 2008 und Bolivien 2009 als Ziel der Nachhaltigkeit in die jeweiligen Verfassungen der Länder aufgenommen. Hier ist die Natur, auch Mutter Erde (patchamama) als eigenes Rechtssubjekt anerkannt worden. Das bedeutet, dass es möglich ist, die Einhaltung der Naturrechte einzuklagen, beziehungsweise Verursacher*innen von Schäden an der Natur zur Rechenschaft zu ziehen. Das Besondere in Bolivien und Ecuador: handelt man gegen die Natur, handelt man verfassungswidrig. Kritiker behaupten, dass die verantwortlichen Politiker letztlich an der Realität gescheitert seien. Denn die (damaligen) linksgerichteten Regierungen (Morales und Correa) hätten trotz vorhandenem Staatsziel „Nachhaltigkeit“ die vorhandenen Ressourcen wie Gas oder Erdöl gefördert oder Regenwälder für die Anpflanzung von Soja abholzen lassen, um die Wirtschaft der Länder und schließlich auch die Lebenssituation der Menschen zu verbessern. Allerdings versuchte die Regierung von Ecuador auf die Förderung von Erdöl zu verzichten, wenn andere Länder sich an den dadurch entstehenden Verlusten beteiligen würden. Dieser bis dahin einmalige Versuch, CO2-Emissionen zu verhindern, indem sich die Weltgemeinschaft an den Kosten beteiligen, scheiterte jedoch. Auch wenn, wie die Internetplattform Utopia festhält, buen vivir weder die westliche Neuinterpretation von einer indigenen Weltanschauung, noch die Umsetzung von einer indigenen Lebensart ist, werden die Inhalte des Konzepts in Ländern des Globalen Nordens trotzdem vor dem Hintergrund eines anderen Umgangs mit den planetaren Ressourcen und im Hinblick auf Alternativen zum aktuellen Weltwirtschaftssystem diskutiert.


Mitmachen:

Was macht gutes Leben für Alle aus? Hinterlasst eure Ideen auf dem Padlet:


Mit Padlet erstellt


Die Notwendigkeit einer gesellschaftlichen Transformation

Das 8. Nachhaltigkeitsziel der sogenannten 17 SDGs der UN, heißt: Menschenwürdige Arbeit und Wirtschaftswachstum. Ob die Lösung weltweiter Probleme wie soziale Ungleichheit, Armut und Hunger durch weiteres Wachstum erreicht werden kann, ist sehr umstritten. Kann uns ein „Mehr“ zum „Guten Leben für Alle“ führen? Und wie ist Wachstum mit dem 12. Ziel in Einklang zu bringen: „Nachhaltiger Konsum und Produktion“? Wie soll auf einer Welt mit endlichen Ressourcen unendliches wirtschaftliches Wachstum möglich sein? Auch im Globalen Norden hinterfragen Menschen vermehrt die Wachstumslogik politischer und wirtschaftlicher Strukturen. Deutschlandweit gibt es Gruppen, Organisationen, Vereine oder Initiativen, die jeweils ihre Vorstellung vom Guten Leben in die Tat umsetzen. Manche streben eine gesellschaftliche Transformation (also einen Wandel unseres aktuellen gesellschaftlichen Zusammenlebens in seiner Gesamtheit) an und entwerfen Modelle zu deren Umsetzung. Sie sind der Meinung, dass nachhaltige Entwicklung ein ökologisch und sozial vertretbares System des Wirtschaftens und Zusammenlebens braucht, welches eine „sozial-ökologische Transformation“ verlangt. Von einem gesellschaftlichen Übereinkommen darüber, wie der Wandel genau aussehen soll, sind wir jedoch weit entfernt. Teile der Gesellschaft stellen die Notwendigkeit grundlegender Veränderungen in Abrede, einige fürchten in ihrer Lebensrealität vergessen und weiter gesellschaftlich an den Rand gedrängt zu werden, andere den Verlust ihrer bisherigen Privilegien. Die Menschen, die grundlegende Veränderungen des aktuellen Systems anstreben, verfolgen unterschiedliche Ansätze. Vertreter*innen der Postwachstumsbewegung (Postwachstum/ Degrowth) fordern ein Ende des (wirtschaftlichen) Wachstums. Auch bezüglich der Nachhaltigkeitsziele der UN, der sogenannten SDGs, die bis 2030 erreicht sein sollen, halten Wissenschaftlier*innen eine Veränderung des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens gerade im globalen Norden für unerlässlich: Nachhaltige Entwicklung für alle ist nur dann machbar, wenn gerade die Länder im globalen Norden ihre Produktions- und Konsummuster so transformieren, dass alle in gleichem Maße an den dafür zur Verfügung stehenden Ressourcen partizipieren können.“


Transformationsprojekte in Hessen und anderswo: Allmende und Gemeinwohlökonomie

Häufig konzentrieren Menschen, deren Ziel die Verwirklichung ihrer ganz eigenen Vorstellung vom Guten Leben ist, auf ein einzelnes Thema, das sie voranbringen möchten. Sie gründen Projekte im Bereich der Ernährung oder der nachhaltigen und gemeinschaftlichen Mobilität. Gruppen, die einen Schritt in Richtung selbstbestimmter Ernährung gehen wollen, nutzen Ackerland in Gartenprojekten gemeinsam oder ermöglichen die gemeinschaftliche Nutzung von Werkzeugen und Alltagsgegenständen durch Verleih, Tausch oder Weitergabe. Gemein ist vielen Projekten der Gedanke der sogenannten Allmende, also die gemeinschaftliche Nutzung von bestimmten Ressourcen oder Gegenständen. Das ALLrad, ein Allmende-Lastenradprojekt ermöglicht die kostenlose Nutzung von Lastenrädern im Raum Gießen. Hier steht jedoch nicht nur der Allmende-Gedanke im Vordergrund. Die Initiatoren betonen die Wichtigkeit einer nachhaltigen Verkehrswende und demonstrieren für neue Konzepte in der Verkehrspolitik und gegen das weitere Vorantreiben umstrittener Straßenbauprojekte. Das ALLrad will Radfahren für alle ermöglichen und bietet Inklusionsräder und Fahrradkurse für Erwachsene an.






Was, wenn Wirtschaft nach anderen Kriterien funktionieren würde, als sie das aktuell tut? Wenn der Erfolg eines Unternehmens und seine Bedeutung nicht an Faktoren wie Marktmacht und Umsatzzahlen gemessen würde? Die Gemeinwohl-Ökonomie (GWÖ) hat es sich zum Ziel gesetzt, ganz andere Faktoren in den Vordergrund zu stellen. Sie ist ein alternatives Wirtschaftsmodell, das auf ökologische und soziale Nachhaltigkeit baut. Menschenwürde, soziale Gerechtigkeit, Demokratie, Transparenz und Verantwortung für das eigene wirtschaftliche Handeln solle als Faktoren dienen, um den Weg zu einer ethischen Wirtschaftsstruktur zu gehen. In unserem Wirtschaftssystem kommt der Bilanz eine wichtge Rolle zu. Sie misst, vereinfacht gesagt, ob sich Einnahmen und Ausgaben eines Unternehmens im Gleichgewicht befinden. Im System der Gemeinwohl-Ökonomie wird die Bilanz anders erhoben. Hier stehen Kosten und Gewinne für die Umwelt und die Gemeinschaft im Vordergrund. Verpflichtet sich ein Unternehmen, nach den Kriterien der Gemeinwohl-Ökonomie zu wirtschaften, kann es sich gemeinwohlbilanzieren lassen. Mit El Puente hat sich auch ein Fair-Handels-Unternehmen zu diesem Schritt entschieden. 


In Hessen gibt es aktuell 8 Regionalgruppen der Gemeinwohl-Ökonomie. Hier treffen sich ganz unterschiedliche Menschen, die aktuelle Wirtschaftsprozesse kritisch hinterfragen und an einem nachhaltigen Wirtschaftsmodell für Menschen und Umwelt mitwirken wollen. Die Regionalgruppe Fulda schreibt über sich: Wir sind eine Gruppe von Menschen, die etwas in der Region in Gang bringen wollen. Es reicht uns nicht, tatenlos zuzusehen, wie der Planet verbrennt, die Natur immer weiter verletzt wird und das menschliche Zusammenleben sich in immer größer werdenden sozialen Spannungen aufreibt. Daher setzen wir auf ein humaneres Leben und Wirtschaften nach den Ideen der Gemeinwohl-Ökonomie (GWÖ).“ 

Auch Akteure des Fairen Handels machen sich Gedanken über eine gesellschaftliche Transformation. So beschäftigte sich die Faire Woche 2020 unter dem Titel „Fair statt mehr“ mit den Fragen nach nachhaltiger Produktion und nachhaltigem Konsum, um ein gutes Leben für Alle verwirklichen zu können. Für das Forum Fairer Handel setzt ein „zukunftsfähiges System [...] auf Werte wie Nachhaltigkeit und Solidarität, geht mit Ressourcen regenerierend und bewahrend um und stellt den Menschen und die Natur in den Mittelpunkt des Handelns. Arbeit ist so organisiert, dass sie auf der einen Seite eine Teilhabe von allen ermöglicht und auf der anderen Seite auf Kooperation statt Konkurrenz und Ausbeutung setzt. Ziel eines solchen neuen Systems ist es, ein gutes Leben für alle zu ermöglichen.“ (Zukunftsbilder des Fairen Handels, S. 4-5, Link unter Materialien im nebenstehenden Kasten)